Wien Rundumadum – so nennt sich ein Ultra-Traillauf-Bewerb rund um die Bundeshauptstadt, bei dem es ca. 130 km mit 1800 hm zu bewältigen gilt. Man soll also nicht sagen, dass man hier in unserer Gegend keine Höhenmeter sammeln kann.
Bereits in den letzten Jahren hat mich dieser Lauf sehr gereizt, doch aufgrund anderer Läufe ist sich eine Teilnahme leider nie ausgegangen. In diesem besonderen Jahr 2020 sollte es aber endlich soweit sein.
Da im Frühjahr so gut wie alle Bewerbe abgesagt wurden, bereitete ich mich mit einem Lauffreund auf ein ganz eigenes Projekt vor. Im Juni lief ich mit Klaus 120 km entlang der Wiener Stadtgrenze, allerdings nicht genau die „Rundumadum“-Strecke und nicht im Rahmen einer Veranstaltung, sondern nur als Genusstour. 18 Stunden hatten wir damals benötigt. Einen Tag danach sagte ich mir, das möchte ich im Herbst auch im Wettkampftempo probieren. Und schon war ich für den Bewerb am 31. Oktober angemeldet.
Der Sommer stand schließlich ganz im Zeichen der Regeneration und dem Grundlagenaufbau. Nach ein paar recht lockeren Wochen mit wenigen Laufkilometern machte ich eine 10-tägige Radtour durch Österreich. Im Anschluss war ich zuerst ein paar Tage mit meiner Familie und etwas später eine Woche mit Freunden in Osttirol auf Urlaub. Wer mich kennt weiß, man könnte auch Höhentrainingslager dazu sagen. Anfang September startete ich schließlich mit der gezielten Vorbereitung auf meinen Saisonhöhepunkt. Fünf Marathons, davon zwei Ultraläufe, absolvierte ich in sechs Wochen, wobei der längste Lauf „nur“ 50 km im Rahmen des virtuellen Vienna Charity Runs war. In den letzten zwei Wochen vor dem Rennen reduzierte ich meinen Trainingsumfang, das so genannte „Tapering“ war angesagt. Nach ein paar kurzen Tempoeinheiten und letzten lockeren Läufen fühlte ich mich gut gerüstet für den 130 km Ultralauf.
Bereits am Vortag bereitete ich all meine Sachen vor, braucht man doch bei so einem Unterfangen jede Menge Zeugs. Angefangen von diversen Gels („Quetschies“), Riegel, Nudeln, Trinken, Gewand, Stirnlampe, bis hin zu Rettungsdecke, Erste-Hilfe-Set und Maske musste alles zurechtgelegt sein. Auch wenn ich schon einige Ultraläufe absolviert hatte, war eine gewisse Anspannung da. Auf so langen Distanzen kann schließlich jede Menge passieren. Und dass es die letzten beiden Tage durchgeregnet hatte und ich wusste, dass der Boden im Wienerwald sehr gatschig und rutschig sein würde, sorgte zusätzlich für Kopfzerbrechen.
Am Renntag läutete der Wecker bereits um halb vier in der Früh, ich konnte aber dennoch gut schlafen und fühlte mich schon beim Frühstück so richtig motiviert. Nachdem ich mir die Startunterlagen abgeholte hatte und nochmal alles Nötige im Rucksack verstaute, konnte ich den Beginn des Rennens kaum erwarten. Um 5:47 Uhr war es dann endlich soweit!
Die ersten Kilometer führten durch den Donaupark und entlang der Donau zur Nordbrücke. Ich startete mit einer Pace von rund 5:30 min/km, es fühlte sich sehr locker an und ich kam sofort in einen Flow. Nachdem es coronabedingt einen Einzelstart alle 20 Sekunden gab, konnte ich sofort einige vor mir gestartete LäuferInnen überholen, was mich zusätzlich motivierte. Die erste größere Herausforderung kam nach ca. 9 km mit dem Nasenweg. Dieser führt recht steil und in Serpentinen zum Leopoldsberg hinauf. Hier machte laufen keinen Sinn mehr und ich stellte auf ein schnelles Gehen um. Oben angekommen genoss ich kurz den Ausblick auf Wien, bevor es weiter Richtung Kahlenberg ging. Von nun an war es topografisch ein ständiges Auf und Ab und auch der Untergrund wurde zunehmend unangenehmer. Teilweise war der matschige Boden noch gut von Blättern bedeckt, doch es wurde allmählich gatschiger und daher schwieriger zu laufen. Zu diesem Problem gesellte sich noch ein neues dazu. Denn bei Kilometer 18 bekam ich einen Anruf von der Rennleitung, die mir mitteilte, dass mein GPS-Tracker nicht funktioniere und ich einen Reset des Gerätes durchführen sollte. Da mir der Tracker allerdings mit einem Tape auf den Laufrucksack geklebt wurde, gelang es mir nicht, das Gerät wieder funktionstüchtig zu bekommen. Nach mehreren gescheiterten Versuchen konzentrierte ich mich lieber wieder aufs Laufen und hoffte, dass es irgendwann von allein wieder ginge. Doch ausgerechnet an einer sehr engen und rutschigen Stelle erhielt ich erneut einen Anruf, wo mir seelenruhig erklärt wurde, wie ich einen Reset durchführen kann. Nur mit viel Mühe konnte ich eine Bauchlandung verhindern und ich begann heftig zu fluchen. So richtig angestachelt von dieser Situation quälte ich mich über Stock und Stein, durch knöchelhohe Wasser- und Gatschlacken nach Hütteldorf, wo Xandi und Stoffi auf mich warteten. Die beiden sollten mich dann bis zum Bahnhof Liesing begleiten. Bei unserem Treffpunkt nach ca. 32 Kilometer hatte ich bereits eine Viertelstunde Guthaben auf meinen Laufplan, welcher sehr optimistisch auf unter 15 Stunden ausgelegt war.
Nach einer kurzen Verschnaufpause und dem Auffüllen meiner Trinkflaschen ging es weiter Richtung Lainzer Tiergarten. Stoffi gelang es zum Glück während des Laufens den GPS-Tracker neu zu starten und ich hatte ab sofort ein Problem weniger. Doch die nächste körperliche und mentale Herausforderung wartete mit dem Dreihufeisenweg bereits auf mich. Hier musste ich aufgrund der Steilheit und dem rutschigen Untergrund wieder auf ein schnelles Gehen umsteigen. Als ich am höchsten Punkt der Strecke angelangt war, fühlte ich eine große Erleichterung in mir. Es warteten zwar noch zwei Marathons auf mich, doch der erste war geschafft.
Es ging vorbei am Gütenbachtor und weiter Richtung Rodaun und Liesinger Bahnhof. Kurz davor wartete bereits meine Tante mit Onkel und Cousinen auf mich. Sie waren so nett und versorgten mich mit einer heiß ersehnten Nudelsuppe und Cola. Bis dahin hatte ich nur ein paar Quetschies und Wasser/Iso zu mir genommen. Ich war sehr zufrieden mit dem bisherigen Verlauf, auch wenn der ganze Wienerwald sehr viel Kraft gekostet hatte. Mein Guthaben betrug bereits über eine halbe Stunde auf die geplanten 15 Stunden.
Gestärkt und voll motiviert ging es dann wieder alleine weiter die Liesing entlang. Zwischendurch hatte ich zwar ein paar mühevolle Kilometer dabei, aber ich konnte trotzdem die Pace von knapp unter 6:00 min/km halten.
Kurz nach dem Laaer Berg wartete Klaus mit der nächsten Labstation. Hier gab es meine selbst gemachten Schinken-/Gemüsefleckerl, ein paar Schluck Frucade und Wasser für mich. Wir plauderten ein wenig und waren beide überrascht, wie schnell ich unterwegs war, vor allem im Vergleich zum Lauf im Juni. Ich füllte wieder meine Vorräte auf und lief vollgepackt weiter Richtung Zentralfriedhof. Danach spulte ich einige Kilometer gemeinsam mit einem anderen Teilnehmer ab. Wir tauschten uns über unsere Vorbereitung auf dieses Rennen aus und pushten uns gegenseitig ein bisschen. Als er mir erzählte, dass er im vergangenen Jahr bereits beim Wien Rundumadum dabei war und sogar in 13h55min finishte war ich sehr beeindruckt. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich noch nicht erahnen, wie lange ich heuer benötigen würde.
Auf der Donauinsel trennten wir uns wieder, da ich ihm ein wenig zu schnell war. Durch die Lobau wurde es für mich sehr mühsam. Ich freute mich zwar schon auf ein weiteres Treffen mit Xandi, aber meine Kräfte neigten sich langsam dem Ende zu. Zwei Marathons hatte ich bereits geschafft, doch ein weiterer wartete noch auf mich. Allein die Tatsache, dass man schon fix und fertig ist und man immer noch über 42 km zu absolvieren hat, macht es mental nicht leicht. Ich stärkte mich mit einem weiteren Quetschie, einer Banane und einigen Schluck Energydrink. Danach sollte es wieder etwas besser gehen.
Auch wenn es zunehmend anstrengender und schwieriger wurde, das Tempo konnte ich erstaunlicherweise immer noch gut halten und einen richtigen Einbruch vermeiden. Ab dem Ende der Lobau musste ich wieder ohne Begleitung weiterlaufen. Xandi sagte mir noch, dass ich super in der Zeit liege und sogar in den Top 10 sei. Davon angespornt spulte ich die nächsten, von der Umgebung her eher nicht so schönen, Kilometer voll fokussiert und wie in Trance ab. Langsam wurde es wieder dunkel und ab Süßenbrunn musste ich mit Stirnlampe weiterlaufen. Die Beine wurden zunehmend schwerer und ich begann zu überlegen, ob ich eine kurze Gehpause einlegen sollte und mir in Ruhe eine Stärkung (Riegel oder getrocknete Marillen) gönnen sollte. Doch irgendwie konnte ich die immer häufiger auftretenden kleineren Tiefs bewältigen und einfach weiterlaufen.
Beim Gerasdorfer Bahnhof bzw. nach 108 km hatte ich schließlich meine letzte Labstation geplant. Hier versorgte mich mein Papa wieder mit Nudeln, Energydrink und Wasser. Nur wenige Meter neben mir machte ein weiterer Teilnehmer Pause, der angeblich gesamt an vierter Stelle lag und bei den Herren Dritter war. Er rannte schließlich einige Minuten vor mir wieder weiter. Ich beschleunigte meine letzten Handgriffe (alle nun unnötigen Sachen aus dem Rucksack geben, Trinkflaschen auffüllen, fertig essen und trinken usw.), um möglichst wenig Zeit auf ihn zu verlieren. Plötzlich gesellte sich mit Berni ein Vereinskollege zu mir, der mich durch Gerasdorf und die ersten Kilometer am Marchfeldkanal begleitete.
Motiviert vom möglichen Podestplatz konnte ich mein Tempo immer noch gut halten und lief ständig eine Pace von rund 6:00 min/km. Auch wenn sich die kleineren Wehwehchen mehrten, ging es mir den Umständen entsprechend sehr gut und ich wusste, dass es für die anderen LäuferInnen am Schluss auch nicht leichter wird. Bei der Brünnerstraße war es soweit und ich überholte den Drittplatzierten. Da die GPS-Tracker bei den anderen auch nicht immer gut funktionierten, war ich mir über den Stand allerdings nicht sicher. Unabhängig davon konzentrierte ich mich auf meine eigene Leistung und versuchte auch die letzten Höhenmeter des Laufes zwischen Brünnerstraße und Stammersdorfer Kellergasse gut hinter mich zu bringen. Von nun an war es ein echter Kampf. Auch wenn sich 15 Kilometer bei einem 130-Kilometer-Rennen nicht nach viel anhören, gerade am Ende zieht sich jeder Meter. Ich versuchte mir schon den Zieleinlauf vorzustellen und konzentrierte mich einfach aufs Laufen. Schritt für Schritt kam ich dem Ziel näher. Als ich wieder zur Donau gelangte und nur mehr die letzten 8 km auf mich warteten, spekulierte ich zum ersten Mal mit einer Zeit von unter 14 Stunden. Unglaublich, dass ich es tatsächlich gleich geschafft hatte. Ich ließ nochmal den ganzen Tag Revue passieren und dachte an all die schönen Momente dieses Laufes. Von den Emotionen ergriffen beschleunigte ich nochmal ein wenig und kämpfte mich immer näher Richtung Ziel. Die letzten drei Kilometer begleitete mich wieder Xandi, diesmal auf dem Fahrrad. Immer wieder pushte er mich und schüttelte nur den Kopf, wie „locker“ ich noch nach knapp 130 Kilometer laufen konnte.
Erschöpft, aber überglücklich erreichte ich nach einer Gesamtzeit von 13h49min das Ziel im Donaupark. Die Veranstalter bestätigten mir auch gleich, dass ich bei den Herren Platz 3 belegte und insgesamt als Vierter finishte. Es war bis dato läuferisch meine absolut beste Leistung. Mal sehen, was die Zukunft noch so für mich bringt.
Zum Schluss möchte ich mich nochmal ganz herzlich bei allen Beteiligten bedanken. Ohne diese großartige Unterstützung wäre so ein Ergebnis niemals möglich gewesen!