Als Schlusspunkt des kompetitiven Teils meiner Laufsaison zog es mich heuer wieder zu einem Halbmarathon ins Ausland, wenn auch weniger weit weg als zuletzt – die Stadt Ljubljana ist per Schiene von Wien aus wesentlich einfacher zu erreichen als Oklahoma City. Die Wahl für gerade diesen Halbmarathon fiel schon im Frühjahr, weil Termin (kurz nach Ende der Laufcupsaison) und Strecke (flach) gut in die Zielsetzung passten: Eine neue Bestzeit über die Halbmarathondistanz.
Nach der mehrmonatigen Trainingsphase war meine Anspannung vor dem Lauf groß. Ich glaubte zu wissen, dass an einem optimalen Tag eine neue Bestzeit (im Idealfall rechnete ich mit ca. 1:10h) für den Halbmarathon möglich war, aber wie es sich für einen guten Trainingszyklus gehört, schwand diese Zuversicht in den Tagen vor dem Wettkampf. Kratzte da nicht der Hals ein bisschen? Hatte ich mir vielleicht noch eine Verkühlung eingefangen? Das allgegenwärtige Nießen und Husten im Zug nach Ljubljana machten es nicht besser.
Fast schon wider Erwarten stellte sich alles das am Wettkampftag zum Glück nur als Hypochondrie heraus: Nach einem frühmorgendlichen Haferbrei und drei Espressi war ich gefühlt kurz vorm Abheben.
Start und Ziel von Halbmarathon und Marathon befanden sich direkt im Stadtzentrum, von meiner Unterkunft waren es ein paar lockere Laufminuten dorthin. Der morgendliche Nebel entlang der Ljubljanica lichtete sich langsam, die Sonne war beim Start um 9 Uhr zu erahnen – und wie so oft im Laibacher Becken war es windstill. Nach dem Startschuss auf der schnurgerade nach Norden führenden Dunajska cesta war ich in Gedanken schon ganz bei der ersten Labstation, denn trotz aufopferungsvoller Suche nach einem Trinkbrunnen war ich vor dem Start nicht mehr fündig geworden. 5 Kilometer waren es bis dahin, und in der Zwischenzeit konnte ich mich schon mal in eine Gruppe rund um die schnellsten Marathonläuferinnen einreihen. Das hatte mehrere Vorteile: Das Tempo wurde durch professionelle Pacer vorgegeben, vor unseren Augen fuhr ein Auto des Veranstalters mit einer Zeitanzeige, und der womöglich vor allem psychologisch wirksame Effekt von weniger Luftwiderstand durch den Lauf in der Gruppe. Verlässlich vergingen jeweils 3 Minuten und 20 Sekunden zwischen den Kilometertafeln; um 1 oder 2 Sekunden schneller als ich mir vorgenommen hatte, aber auf die genannten Vorteile wollte ich nicht verzichten, und meine Beine schienen mitzumachen.
Nach erfolgter Hydrierung an der ersten Labstation ging es in der Gruppe gut und vor allem konstant dahin. Die Pace war meistens angenehm, nur hin und wieder fürchtete ich kurz, ein paar Schritte zurückzufallen, um dann doch meistens am vorderen Ende der ca. zehn- bis fünfzehnköpfigen Gruppe zu laufen. Nach 10 km drehte die Strecke Richtung Süden, und ich wunderte mich schon, wann endlich der kurze, sehr kleine Anstieg folgen würde, den ich vorher am Höhenprofil studiert hatte (gefühlt war es seit dem Start nur bergab gegangen). Bei etwa 15 km kam der Anstieg dann endlich, war tatsächlich sehr kurz, führte aber dazu, dass ich mich aus der Gruppe löste. Rund um diese 15 km-Marke entscheidet sich beim Halbmarathon gerne der Rennausgang: Ist da noch Energie, oder ist man vielleicht doch zu schnell gestartet? Zum Glück ging da noch was, und mein auf Sparflamme mitlaufender Kopf war darauf getrimmt, alle Reserven herauszuholen. Es wurde dann beinahe einsam, mit ein paar schon direkt nach dem Start weit vorausgeeilten Läufern vor mir, der Gruppe hinter mir, und auch das zunächst treu an meiner Seite bleibende Fahrzeug mit der Zeitanzeige zog sich berechtigterweise in Richtung der Marathonläuferinnen zurück. Ich musste mich also erstmals meiner eigenen Uhr bedienen. Da rechnete ich bei etwa Kilometer 18 – langsam, aber sicher wurde es doch eine zache Angelegenheit – ein wenig herum, soweit das zu diesem Zeitpunkt eben noch möglich war. Eine Zielzeit unter 1:10h war in Reichweite, bei gleichbleibendem Tempo sogar realistisch. Ich war mittlerweile eher mit 3:15 oder 3:16 min/km unterwegs, und dank der Anfeuerungen vom Straßenrand und der Gewissheit, die rapide zunehmenden Qualen in Kürze hinter mir zu haben, blieb es bei diesem Tempo. Endorphindurchflutet lief ich mit einer Bruttozeit von 01:09:47 ins Ziel ein, umarmte das Löwenmaskottchen einer norditalienischen Versicherungsgesellschaft, und wurde zur kurz danach stattfindenden Siegerehrung eingeladen, obwohl ich nur Vierter geworden war (was mir in dem Moment durch und durch wurscht war). Die Zweifel und die nervösen Stunden vor dem Wettkampf waren zu dem Zeitpunkt zum Glück schon 21 flache Kilometer entfernt.